Tim Mälzer

"Das gemeinsame Gespräch, die gemeinsame Mahlzeit und der Gedanke, etwas Eigenes zu kreieren, verleihen dem Essen Emotionen und eine viel höhere Wertschätzung als das Fertiggericht aus der Mikrowelle."

Kochbuch-Couch:

Die Bandbreite an Fertiggerichten, Tiefkühlprodukten und Snacks, die schnell zubereitet sind, war noch nie so groß wie heute. Ihr Buch stellt bewusst die veränderten Lebens- und Familienmodelle und die damit einhergehenden flexiblere und unterschiedliche Alltagssituationen - auch und vor allem - in der Küche in den Vordergrund. Ist es Zeit für ein neues Bewusstsein für die eigene Ernährung - und vor allem für eine neue Freude am Kochen?

Tim Mälzer:

Ich denke, dass sich die Industrie und das Lebensmittelangebot im Wesentlichen an die Lebensumstände und an das Freizeitverhalten der Menschen anpassen. Das Angebot im Supermarkt misst sich  an neuen Strukturen.  Die klassische Familie mit zwei Elternteilen, zwei Kindern und dem Abendbrot um 18 Uhr existiert ja oftmals gar nicht mehr. Das Leben der Menschen wird agiler und damit auch das Angebot im Supermarkt. Gewissermaßen werden uns dadurch mehr Freiräume geschaffen, die wir meiner Meinung nach zumindest auch zu einem Teil ins selbstständige Kochen investieren sollten. Selbstgekochtes Essen ist schließlich nicht nur Nährstoffaufnahme, sondern es deckt für mich auch einen ganz großen sozialen Part ab: Das gemeinsame Gespräch, die gemeinsame Mahlzeit und der Gedanke, etwas Eigenes zu kreieren, verleihen dem Essen Emotionen und eine viel höhere Wertschätzung als das Fertiggericht aus der Mikrowelle. Also ich würde nicht sagen, dass es Zeit für ein neues Kochen ist – ich würde einfach sagen, es war und ist immer die Zeit zum Kochen.

Kochbuch-Couch:

Wenn man durch die vielseitigen Rezepte schaut, fällt auf, dass es gerne auch mal richtig deftig zugehen darf und gar nicht erst versucht wird, mit einzelnen Zutaten oder Beilagen irgendwie den Anschein eines vermeintlich „leichten“ Gerichtes zu machen. Es geht eben um Geschmack und Genuss, Kochen für einen leckeren Moment, auch wenn es mal mit mehr Kalorien zugeht. „Nürnberger-Sandwich“ mit Würstchen, Sauerkraut, Mayonnaise, Senf und Chips oder der „Smash Burger“ mit viel Fleisch und Käse kommen mir da etwa in den Sinn. Eine ausgewogene Ernährung schließt das ja nicht aus. Das ist für mich auch typisch Tim Mälzer, oder irre ich mich?

Tim Mälzer:

Ich habe mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, welche Nährstoffe oder Kaloriengehalte meine Rezepte haben. Ich glaube nämlich, dass Übermengen an Kalorien nicht unbedingt den leckeren selbstgemachten Speisen zu verschulden sind. Das Problem ist eher der ungesunde Snack, das inhaltsleere Industrieweißgebäck, der Zucker in Softdrinks oder auch der übermäßige Konsum von Zwischenmahlzeiten. Die eigentliche und am besten selbstgekochte Mahlzeit hat für mich noch nie den Unterschied ausgemacht, würde ich sagen.

"Ich bin jemand, der sich selten in der Komfortzone bewegt."

Kochbuch-Couch:

In meiner Kindheit gab es regelmäßig Senf-Eier. Die dicke Sauce war damals nicht wirklich mein Fall. Ein Rezept dazu findet sich auch in Ihrem Buch. Ich habe aber die „Curry-Eier“ sofort ausprobieren müssen und sie waren super lecker. Wieviel aus ihrer Kindheit lassen Sie in ihren Rezepten aufleben oder zumindest gelegentlich einfließen?

Tim Mälzer:

In jedem Rezept steckt ein einziges Gericht drin. Das ist der Steckrübeneintopf meiner Urgroßmutter. Denn ich versuche emotional zu kochen. Emotional zu kochen und emotionale Gerichte zu machen, so, dass man nicht nachdenken muss, sondern einfach fühlen kann. Und deshalb versuche ich bei egal welchem Gericht, eben diese Erinnerungen und Sinneseindrücke des ersten Moments, des ersten Eindrucks vom Gericht wiederherzustellen und mit einfließen zu lassen. Jedes Gericht hat natürlich unterschiedliche Aromen und soll unterschiedlich schmecken, aber das Momentum des ersten Löffels soll immer gleich sein.

Kochbuch-Couch:

In der Koch-Show „Kitchen Impossible“, die bereits in die 8. Staffel gegangen ist, durchleben Sie stets ein Wechselbad der Gefühle, wenn Sie sich den Aufgaben stellen und mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern messen: Frust, Verärgerung, Freude, Euphorie… alles dabei. Wie wichtig ist Herausforderung und vielleicht auch Wettbewerb für Sie?

Tim Mälzer:

Der Wettbewerb ist für mich im Grunde relativ bedeutungslos, denn mein größter Gegner bin ich wahrscheinlich selbst. So gesehen befinde ich mich also täglich im Wettbewerb. Herausforderungen sind jedoch essenziell für mich – wie die Luft zum Atmen. Ich bin jemand, der sich selten in der Komfortzone bewegt. Mir wird relativ schnell langweilig und ich wiederhole ungern Dinge, die ich schon gemacht habe. Ich versuche stetig, mich weiterzuentwickeln oder mich eben auch neuen Herausforderungen zu stellen. Das ist quasi schon ein Automatismus für mich, der mich auch immer wieder anfeuert.

Kochbuch-Couch:

Nicht nur in besagter Koch-Show treffen Sie auf zahlreiche Menschen, die sich dem Kochen verschrieben haben. Gibt es da eigentlich einen weiteren Austausch untereinander? Oder bleibt für so etwas keine Zeit?

Tim Mälzer:

Leider viel zu wenig, weil ich nach einer Challenge bei Kitchen Impossible eigentlich erstmal zwei Tage Regeneration brauche. Das ist einfach auch eine sportliche Herausforderung und nicht nur Kochen;  ich bin nach den Challenges erstmal richtig durch. Ich treffe in der Show aber immer wieder auf tolle, inspirierende Leute und da bleibt teilweise auch der Kontakt bestehen. Elif Oskan aus Zürich ist ein gutes Beispiel dafür. Ich habe sie durch Kitchen Impossible kennengelernt und mittlerweile hat sich ein gleichsam freundschaftlicher wie kollegialer Austausch auch fernab des TV entwickelt. Grad neulich hatte sie ein Gastspiel bei uns in der Bullerei. So etwas freut mich dann immer wahnsinnig. Leider schaffe ich das aber nicht immer und vor allem nicht in der Intensität wie ich mir das wünsche. Dann wartet bereits das nächste Projekt, die nächste Challenge und die Zeit wird knapp. Das verhindert dann leider teilweise, dass ich zurückblicken oder eben umfangreiche Kontaktpflege betreiben kann.vielleicht in einer guten Kantine oder einer Gemeinschaftsverpflegung, ansonsten, in einem gastronomischen Betrieb, in einem Restaurant, funktioniert das gar nicht. Wir können nicht für Mindestlohn sein, für faire Arbeitszeiten und dann sagen, wir wollen dafür kein Geld ausgeben. Das gilt für alle Branchen, für die Pflege, für den Gesundheitsdienst und andere.

Kochbuch-Couch:

Und diese Frage muss kommen: Haben Sie eine Lieblingsspeise?

Tim Mälzer:

Pasta Bolognese geht immer. Außerdem Hühnerfrikassee und Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Hinter allem versteckt sich aber immer auch der Steckrübeneintopf meiner Urgroßmutter.

Das Interview führte André C. Schmechta im September 2023.
Foto: © Philipp Rathmer

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