Lunchbox

Film-Kritik von Carola Krauße-Reim (11.2020)

Ein Film der leisen Töne

Ila kocht ihrem Mann jeden Tag vorzügliches Essen, das ein Dabbawalla quer durch die Megacity Mumbai zu ihm ins Büro trägt. Doch, ihrem Mann sind nicht nur die köstlichen Mahlzeiten egal, auch Ila lässt er links liegen. Als eines Tages aber die Lunchbox sauber, wie ausgeleckt, zurück kommt, ist Ila klar, dass ein anderer ihr Essen verschlungen hat.

Am nächsten Tag legt sie, auf Anraten ihrer Nachbarin „Auntie“, einen Brief in die Lunchbox. So entsteht eine Brieffreundschaft zwischen Ila und Saajan, der jeden Tag der Nutznießer vom Irrtum der Dabbawallas ist und der, wie Ila an Einsamkeit leidet. Die beiden erzählen sich von ihren Hoffnungen, Träumen und Ängsten, aber auch von nichtigen Kleinigkeiten, die ihnen im Laufe des Tages passiert sind. Als sie ein erstes Treffen vereinbaren, gerät ihre Verbundenheit ins Wanken.

Dabbawallas sind in Mumbai unverzichtbar

Das Transportsystem der Dabbawallas hat eine unglaubliche Logistik, die ohne jede schriftliche Anordnung, rein auf dem Gedächtnis der Auslieferer fußt. Jeden Tag werden in Mumbai ca. 200.000 Lunchboxen geliefert, die nur sehr selten auf dem falschen Schreibtisch landen. Regisseur Ritesh Batra hatte bereits 2007 einen Dokumentarfilm über die Dabbawallas gedreht und in diesem Zusammenhang die Geschichte einer falsch ausgelieferten Dabba gehört, die zu einer Liebesgeschichte führte – eine Idee war geboren. Der fertige Film feierte 2013 auf dem Filmfestival in Cannes Premiere, wurde im Anschluss auf anderen Festivals präsentiert und erhielt mehrere Auszeichnungen.

Ein Film aus Märchen und Realität

Es gibt drei immer wiederkehrende Szenen, die den Film ausmachen – Ila in ihrer Küche, Saajan in seinem Büro und auf seinem Weg dorthin. Es entsteht eine gelungene Mischung aus Realität und Märchen. Die Fahrt durch die Vorstädte des Molochs Mumbai ist dokumentarisch gefilmt: Aufnahmen aus dem realen Leben in der lauten, quirligen und überbevölkerten Stadt ergänzt durch Aufnahmen mit dem fiktiven Saajan, der sich in übervollen Zügen zur Arbeit schaukeln lässt, Zigaretten an einem Straßenstand kauft oder Bananen isst und darüber philosophiert, dass dies eigentlich nur Menschen machen, die sich keine warme Mittagsmahlzeit leisten können.

Das Kernthema des Film ist dann aber ein Märchen oder besser, eine Liebesgeschichte rund um zwei Menschen, die einsam sind und sich nach Liebe und Anerkennung sehnen. Batra ist dieses Crossover bravurös gelungen. Als Zuschauer kann man die Hitze und Enge in den Zügen ahnen, die Aromen in Ilas Küche riechen und gleichzeitig die Einsamkeit der beiden Menschen spüren. Und so ist man ganz nah bei den Figuren und leidet mit, wenn Ila sich nur noch auf die Rolle der Mutter und Köchin reduziert fühlt und merkt, dass sie ihrem Mann völlig gleichgültig, wenn nicht sogar lästig ist oder der verwitwete Saajan alleine auf seinem Balkon steht und einer Familie im Nachbarhaus beim gemeinsamen Abendessen zusieht. Aber, man möchte den beiden auch einen Schubs geben, wenn sie ihre platonische Zuneigung nicht weiter ausbauen wollen, vor allem Saajan, der kurz vor der Rente steht und sich zu alt für Ila hält. Und so ist der Zuschauer am Ende des Films gespalten zwischen dem Stolz auf Ila, die aus der Briefbeziehung genügend Kraft für einen Neubeginn gezogen hat und dem bedauernswerten Saajan, der zu spät die ganze Bedeutung und Tiefe dieser Freundschaft bemerkt und im Wagon der Dabbawallas landet.

Schauspieler bringen Sinn und Sinnlichkeit hervorragend rüber

Leider sind die indischen Schauspieler dem europäischen Publikum relativ unbekannt, doch man sollte sich ihre Namen merken, denn sie verstehen ihr Handwerk meisterhaft. Irrfan Khan (Slumdog Millionär, Life of Pie) als Saajan und Nimrat Kaur (Homeland) als Ila sind so authentisch in ihrem Spiel, dass man ihm den kauzigen, ungeselligen und wortkargen Pedanten genauso abnimmt, wie ihr die eigentlich perfekte Frau mit dem Gespür für gutes Essen und dem hübschen Äußeren. Neben allem Ernst in der Geschichte schaffen sie es auch den immer wieder aufblitzenden Humor zu vermitteln, wenn Saajan z.B. in der Kantine alleine am Tisch sitzt, von niemanden beachtet wird und trotzdem erst lange um sich sieht, bevor er den täglichen Brief Ilas liest, als würde er etwas Verbotenes tun – oder Ila, die über das Fenster Zwiegespräch mit ihrer Nachbarin „Auntie“ führt, die über ihr  wohnt, nur durch ihre Stimme im Film vorkommt und einen Deckenventilator im vollen Lauf reinigen kann. Etwas nervig ist das Spiel von Nawazuddin Siddiqui, der den inkompetenten Nachfolger von Saajan gibt. Sein Agieren wirkt zu laut und aufgesetzt, ist aber in dieser Art häufig in indischen Filmen zu finden. Die Hauptrolle aber spielt das köstliche indische Essen! Wenn man sieht, wie die Gewürze gemischt werden, sich das Brot auf dem Herd aufplustert und Saajan die einzelnen Töpfchen des Dabbas öffnet – dann, ja dann läuft dem Zuschauer das Wasser im Mund zusammen und man versucht sich automatisch an die Adresse des nächsten indischen Restaurants oder den Verbleib des indischen Kochbuches zu erinnern.

Fazit:

„Lunchbox“ zeigt, dass ein indischer Film nicht immer Bollywood bedeuten muss. Ganz ohne Tanz und knallige Farben, wird hier eine leise Geschichte transportiert, die vom Spiel der Akteure genauso lebt, wie von den Aufnahmen aus dem Leben in der Megacity Mumbai. Er ist für Indien-Fans ein Muss und für alle anderen vielleicht der Beginn einer Liebe für das würzig-scharfe Essen aus diesem Land, das eben auch kulinarisch so viel zu bieten hat.

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Fotos: © EuroVideo Medien

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