Christian Rach

"...die Gerichte sind wirklich zum Nachkochen gemacht. Und funktionieren eben auch in Haushalts-Küchen und nicht nur mit Hightech. "

Kochbuch-Couch:

In der Gastronomie, im Supermarkt - und auch bei den Kochbüchern - nimmt die Internationalität von Speisen und Zutaten immer weiter zu. Unzählige Trends versprechen neue Geschmackserlebnisse. Über 200 Rezepte aus zahlreichen Regionen Deutschlands haben nun den Weg in ihr neues Kochbuch „Deutsche Küche“ gefunden. „Ein Versuch, deutsche Klassiker in die Moderne zu überführen, ohne ihre Seele zu verlieren“ führen Sie im Vorwort aus. Dazu gibt es ein Sonderkapitel zu Gerichten aus der traditionellen DDR-Küche. Gilt es den Ruf der Deutschen Küche aufzuwerten oder ist der gar nicht so schlecht? Gerät die deutsche Küche mit ihren lokalen Spezialitäten möglicherweise gerade ins Abseits und muss dringend neue Fans gewinnen?

Christian Rach:

Wir leben in einer globalisierten Zeit. Wir sehen überall auf der Welt die Klimaveränderung mit riesigen Schritten voranschreiten. Und das erreicht alle, ob wir es wollen oder nicht. Das heißt, wir müssen natürlich, was die Ernährung angeht, auch darauf achten, nicht jedes Produkt dreimal um die Welt zu karren. Das ist aber nicht die Motivation für das Buch gewesen, sondern das ist eine Erkenntnis.

Wir haben in Deutschland eine wunderbare Regionalküche, wir haben nicht die drei oder vier Deutsche Essen, das sieht vielleicht das Ausland in dem einen oder anderen Produkt so. Es ist eher das Universelle wie zum Beispiel das Brot – Deutschland steht für seine Brotkultur, für seine Brotvielfalt, dafür sind wir auf der gesamten Welt bekannt. Oder auch Wurst ist bei uns natürlich ein großes Thema, was auch im Ausland unglaublich geschätzt wird. Aber dann hört es schon bei vielen Dingen auf. Dabei müssen wir uns überhaupt nicht verstecken. Ich persönlich gehe so gerne in Buchhandlungen, egal ob in Hamburg, Frankfurt oder München – nicht nur in die Kochecken, aber auch. Und da fällt mir auf, dass wir Kochbücher haben aus der Karibik, aus Südamerika, Peru, Kolumbien, aus Südafrika, Asien, Bella Italia sowieso, auch die nordische Küche ist vertreten. Natürlich gibt es auch ein paar deutsche Kochbücher, aber weit weniger als die Internationalen. Wenn ich aber in Rom oder Paris in die Buchhandlung gehe, dann fällt mir auf, dass wir da überhaupt keine deutschen Bücher finden. Das ist natürlich eine Merkwürdigkeit, die ich so eigentlich nicht akzeptieren kann, weil wir uns nicht verstecken müssen.

Kochbuch-Couch:

Unter ihren Rezepten sind auch einige bekannte Klassiker - von Currywurst bis Sauerbraten. Daneben gibt es viele raffinierte und mir noch völlig unbekannte Gerichte (Die „Tecklenburger Buttermilchsuppe“ hat ihren Ursprung nicht weit von meiner Heimat in Münster und ist direkt mal auf meiner Praxistest-Liste gelandet) mit teils sehr überraschenden Kombinationen (wie bei der „Schnippelbohnensuppe mit Zwetschgenkuchen“). Wie entdecken sie diese Leckereien und welche Kriterien waren ihnen für die Aufnahme in ihr Kochbuch wichtig?

Christian Rach:

Wir haben das Buch so gestaltet, dass es eben nicht nach Jahreszeiten gegliedert ist - oder nach Vorspeise, Hauptgang und Dessert, oder geografisch nach Norden, Süden, Osten, Westen. Die Idee ist, Produktgruppen zu machen - dafür stehen wir. Erbsen, Linsen, Bohnen oder Kraut und Rüben zum Beispiel. Und natürlich Brot oder Butter und Milchprodukte und so weiter. Bis auf zwei Ausnahmen, eine haben Sie schon genannt, nämlich die Rezepte aus der DDR (die andere, ist die Jüdische Küche, Anm. der Redaktion). Wir hatten über vierzig Jahre ein geteiltes Deutschland und in den östlichen Bundesländern hat sich eine eigene Kulinarik entwickelt. Und Gerichte der alten Bundesrepublik, die von Norden bis Süden doch so beliebt waren, die gab es da auch. Das, dachte ich, ist natürlich auch eine Form des Respekts und der Ehre, dass wir diese kulinarische Entwicklung zumindest mit einigen Gerichten würdigen müssen und die ebenfalls, wenn man sie handwerklich gut herstellt, auch großartig schmecken.

Kochbuch-Couch:

Und wie haben Sie all die Gerichte entdeckt?

Christian Rach:

Ich bin ja auch in den Restauranttester-Zeiten im ganzen Land umhergereist, habe vieles gesehen und ich habe dann immer die regionalen Kollegen besucht und mir natürlich kein Cordon Bleu in Thüringen zubereiten lassen, sondern ein Thüringer Kloß, Eierschecke, Soljanka, Steak au Four oder was auch immer. Einfach, um zu sehen, wie dort gekocht wird und um für die regionale Küche Respekt zu zollen. Genauso – im Süden – ist das Gericht „Schnippelbohnen mit Zwetschgenkuchen“ ein Spezialgericht aus meiner saarländischen Heimat. Und die „Tecklenburger Buttermilchsuppe“ ist im Tecklenburger Land eine richtige Spezialität, wie auch Brotsuppen. Das heißt, ich habe versucht, immer auch in die regionalen Besonderheiten einzusteigen, denn sie gibt es in Deutschland in ungeahnter Tiefe – und wenn sie handwerklich gut und traditionell gemacht sind, auch in hervorragender Qualität.

Kochbuch-Couch:

Ein so vielfältiges und umfangreiches Kochbuch wie “Deutsche Küche“ ist nur mit Teamarbeit machbar und durchläuft viele Schaffensphasen. Was macht Ihnen dabei am meisten Spaß?

Christian Rach:

Das mache ich zusammen mit meiner Co-Autorin Susanne Walter, wir arbeiten seit fast dreißig Jahren zusammen – so lange sind wir befreundet – und ich habe alle meine Bücher mit ihr gemacht. Die Diskussion und die Auseinandersetzung darüber sind fantastisch. Es war ein langer, kreativer Prozess dahin, zu sagen, wir nehmen nur Produktgruppen. Wir hatten am Anfang noch viel mehr Inhalte, auch beispielsweise mit Bier und Wein, aber ein Buch mit 500 oder 600 Seiten kann kein Mensch mehr heben, also haben wir an einigen Stellen dann natürlich gekürzt.

Aber der zweite Ansatz war, dass wir einen tollen Fotografen oder Fotografin brauchen – Kathrin Koschitzki, die es dann geworden ist - die diese Seele versteht, die wir damit transportieren wollen. Wir haben extra in einer Haushaltsküche gekocht, der Backofen unten, zwanzig Jahre alt, kein Hightech, keine Schnellkochtöpfe, kein Dampfgarer, sondern so, wie es vermutlich in neunzig Prozent der Küchen in Deutschland aussieht. Das heißt, jedes Gericht ist nicht fürs Foto gemacht, sondern jedes Gericht wurde gekocht – und dann fotografiert. Das bedeutet, die Gerichte sind wirklich zum Nachkochen gemacht. Und funktionieren eben auch in Haushalts-Küchen und nicht nur mit Hightech.

Kochbuch-Couch:

Auch vermeintlich schnelle Rezepte benötigen immer etwas Zeit für Organisation und Zubereitung. Gibt es einen besonderen Tipp, wie Sie Kochmuffel motivieren?

Christian Rach:

Ich glaube, die größte Motivation ist, mal die Zutatenliste von Fertiggerichten zu lesen. Da wird einem eigentlich immer wieder anders. Es gibt natürlich auch ein paar großartige Hersteller, aber in den meisten sind zu viele Sachen enthalten, die einfach nicht in unseren Körper gehören. Und wenn man ein bisschen verantwortungsvoll mit seinem Körper umgehen möchte, wir haben so viele andere Probleme zu bewältigen, da ist doch der Antrieb, irgendwie möglichst gesund bleiben zu wollen, sich vernünftig zu ernähren, eine der Grundlagen und die Voraussetzung. Das sollte Motivation genug sein. Natürlich kann man einen Schmorbraten nicht in einer halben Stunde zubereiten. Aber viele, viele andere Dinge sind in einer halben Stunde zu machen. Gerichte, die Genuss bereiten und bei denen man weiß, was man zu sich nimmt.

Kochbuch-Couch:

Gerade auch die Gastronomie hat mit großen Personalproblemen zu kämpfen. Wie ist es denn um den Kochnachwuchs in Deutschland bestellt?

Christian Rach:

Die gesamte Gastronomie, Köche, Köchinnen, Service-Mitarbeiter/innen, die Hotelbranche, darunter die einzelnen Fachbereiche, ich würde auch das Backhandwerk mit in das Lebensmittelhandwerk nehmen, da sieht es sehr schlecht aus. Die Bäcker haben die größten Probleme, es gibt kaum noch junge Menschen, die Bäcker oder Bäckerin werden wollen. Auch da muss man sich Gedanken machen, ob es wirklich notwendig ist, dass jeden Morgen schon um 5.30 Uhr die Auslagen in den Bäckereien mit warmen Brötchen und Brot bestückt sein müssen. Oder ob auch eine spätere Uhrzeit reicht, respektive wenn das Brot handwerklich hergestellt ist, schmeckt es auch vom Vortag. Wenn Sie da einen richtigen Sauerteig haben, ein Teig der lange gegangen ist, dann schmeckt er eigentlich am zweiten Tag noch viel besser.

Wo wir auch hinkommen können, ist, dass wir bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Das müssen wir lernen. Es wird nicht die eine große Lösung geben, dessen bin ich mir heute bewusst, sondern: Wir brauchen Leuchttürme. Da gehen viele Betriebe schon mit gutem Beispiel voran, wenn Sie in die Spitzengastronomie schauen, die großartigen Restaurants, haben diese alle heute Öffnungszeiten, mit denen man noch Mama und Papa sein kann. Und darauf kommt es an. Das heißt, wir brauchen junge Menschen, die motiviert sind, die aber ihren Wunsch nach einer eigenen Familie nicht hintenanstellen müssen. Und das geht nicht von oben herab, diktiert, sondern so, dass ein großes Hotel damit anfängt oder dass Restaurantbetreiber damit anfangen – und dann spricht sich das ganz schnell herum, dass es in dem Betrieb bessere Arbeitsbedingungen und ein gutes Arbeitsklima und auch eine hervorragende Bezahlung gibt. Natürlich müssen wir uns daran gewöhnen, dass Gastronomie nicht mehr zum Nulltarif zu haben ist. Essen, das für fünf Euro auf den Tisch kommt, kann nur subventioniert sein. Sprich, vielleicht in einer guten Kantine oder einer Gemeinschaftsverpflegung, ansonsten, in einem gastronomischen Betrieb, in einem Restaurant, funktioniert das gar nicht. Wir können nicht für Mindestlohn sein, für faire Arbeitszeiten und dann sagen, wir wollen dafür kein Geld ausgeben. Das gilt für alle Branchen, für die Pflege, für den Gesundheitsdienst und andere.

Kochbuch-Couch:

Sie sind in TV-Shows präsent und veröffentlichen Kochbücher. Welche aktuellen Pläne haben Sie?

Christian Rach:

Ich mache sehr intensiv meinen Podcast mit Wolfgang Bosbach, der Podcast heißt „Bosbach und Rach – die Wochentester“. Da gibt es jetzt noch eine Rubrik, die starten wir jetzt im September neu, „Die Genusstester“. Da werden wir auch über Ernährung sprechen, über Restaurants und was wir erlebt haben. Das ist aber etwas losgekoppelt von den „Wochentestern“.  Redaktionelle Arbeit ist immer auch anstrengend und wir sind jeden Freitagmorgen um 7.00 Uhr auf Sendung. Das erfordert Vorbereitung, wir haben eine tolle Redaktion, aber trotzdem müssen auch Wolfgang Bosbach und ich uns gut vorbereiten, damit wir mit unseren Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen in die Tiefe gehen können. Das macht unglaublich Spaß, das machen wir jetzt im dritten Jahr und haben eine unglaublich tolle Abonnentenzahl. Der Podcast „Bosbach und Rach – die Wochentester“ ist immer der Ankertermin in der Woche.

Kochbuch-Couch:

Und diese Frage muss kommen: Haben Sie eine Lieblingsspeise?

Christian Rach:

Sehen Sie es mir nach, aber das ist die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird. Aber ich beantworte sie auch immer mit einem Schmunzeln. Ich sage Ihnen mal, was ich überhaupt nicht mag. Für viele, viele Menschen ein Seelentröster: Milchreis in allen möglichen Varianten. Da geht bei vielen das Herz auf, dann kommen Kindheitserinnerungen auf und dann ist alles wieder gut, wenn sie den Milchreis von Oma, Mama oder Opa oder wem auch immer gab. Mich können Sie damit jagen, obwohl wir in dem Buch natürlich auch ein schönes, sahniges Milchreisgericht haben; aber das hat dann meine Co-Autorin Susanne Walter gekocht und abgeschmeckt, ich habe ihr schon ein paar Tipps gegeben, aber Milchreis ist nichts für mich.

Das Interview führten André C. Schmechta und Stefanie Eckmann-Schmechta im August 2023.
Foto: © Ydo Sol

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